Blog: Januar

Mittwoch, 25.01.17

Ich gehe wieder!

Ich habe meine Flüge gebucht, seit dem 14. Dezember steht es fest. Ich werde Deutschland am 30. Januar 2017 verlassen: Von Hamburg nach Malaysia, eine Woche Zwischenstopp für das Festival, auf dem ich letztes Jahr schon war, und dann am 7. Februar lande ich in Phnom Penh. Wah, der bloße Gedanke!!!

 

Einige Zeit lang hat dieser Gedanke mich gar nicht glücklich gestimmt, eher unsicher. Ist es wirklich das Richtige, wieder zurück zu gehen, anstatt noch etwas Neues zu sehen? Ist es wirklich das Richtige, wieder das Gleiche zu tun? Aber genau das ist der entscheidende Punkt: Es wird nicht das Gleiche sein. Diese Tatsache ernst zu nehmen, ist sehr wichtig. Zum einen, um die Vorfreude und die Motivation anzufachen, zum anderen aber auch, um sich vor Enttäuschung zu schützen. So wie ich vor anderthalb Jahren nach Kambodscha ging und alles was hinter dem Flugzeug lag, eine leere Blase ohne jegliche Erwartungen war, so ist es natürlich nicht mehr. Ich kenne den Rahmen, der auf mich zukommen wird. Und ich mache mir eine Menge Gedanken darüber, wie sich die Dinge wohl entwickeln werden, bezüglich Job, Unterkunft, und Beziehungen zu unterschiedlichen Freunden. All diese Gedanken existierten vor anderthalb Jahren nicht mal ansatzweise. Die Skepsis war also groß, und ich bin gut darin, mir Dinge schön zu reden, aber erst als ich die Flüge wirklich gebucht hatte, und ein Strom von Glücklichkeit und freudiger Erwartungen mich durchflutete, erst da habe ich wirklich gewusst, dass es die richtige Entscheidung ist. Und das Gefühl, als ich Mama von der plötzlichen Entscheidung erzählt habe, war dann das Sahnehäubchen.

 

Denn auch diesmal kam die endgültige Entscheidung viel schneller und kurzfristiger, als eigentlich geplant. Vor anderthalb Jahren hatte ich ja eine Menge Auswahlverfahren hinter mir, mit dem Resultat, dass ich vielleicht doch in Deutschland bleiben muss. Erst Ende Juni kam die Anfrage vom DRK, ob ich noch Interesse an Kambodscha hätte.

Ähnlich war es nun wieder. Mein Plan für die Rückkehr nach Deutschland war, einen Job zu finden und Praktika zu machen, um dann meine wohlverdiente Auszeit in Kambodscha zu genießen und im Herbst 2017 mit starker Gewissheit mein Wunschstudium beginnen zu können. Ich hatte allen Freunden in Kambodscha erzählt, dass ich im Februar zurück kommen würde. Im Auto von Frankfurt nach Bremen stellte sich dann heraus, dass es nicht so leicht werden würde. 

 

Ich brauchte eine Grundlage, und bin dafür erst einige Wochen zur Oldenburger und später zur Bremer Uni gegangen. Ich hatte mich in Oldenburg für Physik eingeschrieben und das ist auch sehr gut gewesen, um zu lernen, wie eine solche Bewerbung und das Zusammenstellen von Stundenplänen funktioniert. Schon bald merkte ich aber, dass Physik zwar toll (habe mich in meinen Dozenten verliebt), aber Mathe unmöglich war. Ich merkte, dass ich meine Zeit in der Uni wesentlich sinnvoller verbringen konnte. Obwohl ich noch einige Male nach Oldenburg gedudelt bin, um Physik angucken zu können, so suchte ich mir aber primär andere Vorlesungen raus. Vorlesungen, die mich wirklich interessieren könnten: Soziologie, Psychologie, Migrations-Pädagogik, pädagogische Psychologie, Philosophie. Und sie waren wirklich interessant, ich war dermaßen begeistert, dass ich auch während meiner Zeit bei Mercedes zur Uni ging, sowie es die Schichtarbeit jede zweite Woche denn zuließ. 

Meine Zeit bei Mercedes war klasse, ich habe 4-einhalb Wochen damit verbracht, am Fließband die Cockpits an Cabrios und Coupés zu schrauben. Dabei habe ich einen Menge Menschen kennen gelernt, einen Russisch-Crashkurs gemacht, viel über meine Kambodschazeit und Jungs nachgedacht, über Kannibalismus und Veganismus, über die Vorstellung, wie mein Leben als 35-jährige alleinerziehende Mutter aussehen würde, und überhaupt über viele weitere Themen nachgedacht. Und vor allem hatte ich einfach sehr viel Spaß: Zum einen in meinem Kopf, aber besonders auch mit den Menschen, die ich dort kennen gelernt habe, und mit denen ich teilweise noch immer in Kontakt stehe. Dieser Monat hat mir ebenfalls sehr viel gegeben, und damit meine ich nicht nur Geld. Gefeiert habe ich meinen letzten Tag aber trotzdem voller Freude. Der beste Geburtstag seit Jahren. Ich habe von meiner Meisterin auf mein Quengeln hin sogar ein Mitarbeiter T-Shirt geschenkt bekommen. Ich habe fast geheult, der Tag war so perfekt.

Nun sollte endlich die Zeit beginnen, die der eigentliche Zweck von einem weiteren Jahr „Studium-aufschieben“ sein sollte: Meine Praktika. Ich hatte viele Ideen, und zwei dieser Ideen führten mich vor eine schwere Entscheidung: Ich wollte zu einer Entsendeorganisation nach Münster, die ich bei einem Auswahlseminar vor 2 Jahren kennen gelernt habe und besonders toll fand. Auf unserem Rückkehrseminar habe ich nämlich bemerkt, dass ich mir vorstellen könnte, mit Freiwilligen zu arbeiten. Sie vorzubereiten, zu begleiten, zu unterstützen, über ihre Erfahrungen zu sprechen und die Idee der Entwicklungs-Zusammenarbeit mitzugestalten. Ein Praktikum beim „Eine Welt Netz NRW“ forderte aber ein Minimum von 6 Wochen, was auch durchaus Sinn macht. Diese 6 Wochen hätte ich nicht mehr vor Februar rein quetschen können, nicht, bevor mein geliebtes Belantara Festival in Malaysia beginnen würde. Doch ich hatte mir gesagt, dass ich erst wieder nach Kambodscha darf, wenn ich mir sicher bin, was ich studieren will. Diese Argumentation wurde natürlich vollstens von Mama unterstützt, weshalb ich mich dazu durchrang, auf das Festival zu verzichten. Danach eilte es dann ja nicht mehr: Ich wollte noch zum Goethe-Theater, zum Sozialpädagogen, zur Wohnbetreuung von psychisch Erkrankten, und zum Blaumeister-Atelier, die Kunst mit Behinderten machen.

 

Nach meiner Zeit bei Mercedes war dann der Sozialpädagoge dran. Für 2 Wochen konnte ich den  Vater, bei dem ich gebabysittet habe, bei seiner Arbeit an einer Schule im Blumenthaler Ghetto begleiten. Ich hatte viele verschiedene Altersklassen, erhielt neue Einblicke, wie Schule heute mancherorts funktioniert, und lernte verschiedene Kollegen kennen, sowohl Lehrer, als auch Sozialpädagogen und Sonderpädagogen. Nach den 2 Wochen dachte ich mir, dass ich vielleicht Sonderpädagogik studieren möchte, was nicht heißt, dass man unbedingt mit körperlich behinderten Kindern arbeitet, sondern auch mit lernschwachen Kindern usw., die Richtung kann man sich dann noch aussuchen. Momentan könnte ich mir noch nicht vorstellen, mich auf körperlich behinderte Menschen zu spezialisieren, aber das ist wohl so, weil ich mit diesem Bereich noch nie Berührung hatte.

 

Kurz vor Weihnachten waren die 2 Wochen vorbei, und es ging nach Schweden in den Skiurlaub, wo ich neben sehr viel Spaß, wunderschöner Natur und Sport, auch viel Zeit zum Nachdenken hatte. Außerdem hatte ich ein Ereignis, das Gwen und ich als „Kambodscha-Moment“ bezeichnen: Entscheidungen, die ich mit meinem deutschen Horizont nie getroffen hätte, aber weil ich in Kambodscha war, habe ich den Mut und den Drang bekommen, genau solche Entscheidungen zu treffen, da sie es sind, die mich besonders glücklich machen:

Ich bin heute einem fremden Mann hinterher gelaufen. Ich dachte an Thailand und was hätte ich in der damaligen Lebenslage getan. Ganz klar: Ich wäre ihm hinterher gelaufen und dann habe ich Suses Namen gerufen und es dann einfach gesagt. „Ich laufe jetzt dem Snowboarder hinterher!“ Ich war aufgeregt, freudig erregt, als ich dem Rest des Clans meinen Rücken zuwandte und auf meinen Langlaufskiern eilig den Spuren der Schneeschuhe des Snowboarders folgte.  Was er sich wohl gedacht hatte, wenn er sich umdrehte und sah, wie ein wildfremder Mensch ihm hinterher die Berge hochkraxelte... Es dauerte lange, bis ich ihn eingeholt hatte. Wir haben uns super verstanden und genau das ist es, was in Kambodscha fast wöchentlich geschehen ist: Ich habe neue Sachen (alleine) gewagt und neue Menschen kennen gelernt. 

Hoch oben hatte ich schon etwas Angst abzurutschen und runter zu stürzen. Es war ein tolles Gefühl, hoch oben zu stehen, wissend was ich geleistet hatte. You're a brave girl, he sad. Er meinte auch, dass es ein schwieriger Aufstieg war. Oben Wind und Steine, ich konnte nicht auf die andere Seite runter gucken, aber ich war auf dem höchsten Punkt. 

Wir gingen auf dem Gipfel der Bergkette weiter, auf der Suche nach einem flacheren Abstieg, und kamen so aus dem Schatten und liefen in das wunderschöne Rot der Abendsonne. Vor lauter weiß konnte man keine Steigungen mehr erkennen, alles sah gleich aus, ich wusste nicht, wo es steil oder flach war. Nachdem er mir den besten Abstiegshang gezeigt hatte, verabschiedeten wir uns. Leider konnte ich ihm nicht beim Snowboarden beobachten, weil er noch etwas weiter gehen wollte, wo mehr Schnee lag. Ich drehte mich also um, um meinen Rückweg alleine anzutreten und dann rutschte ich aus und fiel weit runter. Ich merkte, wie ich einen Skistock verlor, wie ein Fels unter mir näher kam und wie meine Beine und Skier sich verhedderten und hatte Angst. Ich schrie kurz und schon war es vorbei. Meine Skier und Beine waren noch durcheinander, mein Stock lag ein paar Meter über mir, aber es tat rein gar nichts weh, ich rutschte nicht mehr und der Fels war noch ein gutes Stück weit entfernt. Er muss große Angst gehabt haben, als er mich so kopfüber fallen sah, mindestens so erschrocken, wie ich. Aber wir lachten und verabschiedeten uns. 

Auf dem Rückweg bin ich immer mal wieder hingefallen, falls ich auf der glatten Eisfläche zu schnell beschleunigte und die langen Langlauf-Skier sich in die Quere kamen. Ich lief in den Sonnenuntergang hinein, der Sonne entgegen und war total glücklich, als ich die Spuren unseres Vorgängers wieder fand. Oft schaute ich mich um, um ihn den Hang runter fahren zu sehen, aber keine Spur. Als ich am Parkplatz ankam, kam Mama gerade aus dem Klohäuschen, rief freudig meinen Namen, ja irgendwie erleichtert und umarmte mich. Ihre Worte werde ich nicht vergessen: „Das habe ich mir gewünscht, dass ich aus dem Klo komme und da draußen stehst du gesund und wieder zurück.“ Es war wie im Film, sie hatte sich wirklich Sorgen gemacht.

Das war die Geschichte dieses Briefes. Er ist schon wieder sehr lang und deswegen will ich nur noch sagen, dass ich nach dem Urlaub in Schweden kurz bei Gwen in Passau vorbeigeguckt habe (wunderschöne Stadt!!!) und danach mit der Bremer Quidditch Mannschaft den 9ten Platz bei den Deutschen Winterspielen ergattert habe! Nach 4 Stunden Schlaf fing dann meine Woche Hospitanz in einer Mini-Grundschule an, weswegen ich jetzt vielleicht Grundschullehramt studieren will haha und diese Woche begleite ich Sylvia beim betreuten Wohnen von psychisch Erkrankten, wo ich auch unglaublich viel lerne, in der Arbeit sowie in Gesprächen. Jetzt liegt noch das Wochenende vor mir, ein paar letzte Menschen, die ich treffen kann, bevor es Montag los geht nach KL. Bis dahin muss ich noch die Halsschmerzen los werden, das würde bei dem Flug nicht so spaßig werden.

Was meine Zukunft in Kambodscha angeht, ist alles ziemlich rosig, es gibt eine Menge Wohnungs- und Job-Angebote, die mich positiv stimmen. Wahrscheinlich wird es darauf hinauslaufen, dass ich als Englisch Lehrer an einer International School arbeite, aber das ist okay, weil ich vielleicht ja eh Lehrer werden will, und ich damit genug Geld und Freizeit hätte, um noch auf Freiwilligen-Basis andere neue Dinge zu lernen, vielleicht auch wieder bei SCAO auszuhelfen und noch nach Korea und Japan zu reisen!!

 

Ich fühle mich ein bisschen blöd, wenn ich schreibe, dass ich berichten und euch auf dem Laufenden halten werde, denn das verspreche ich jedes Mal und jedes Mal meine ich es wirklich ernst, weswegen es noch trauriger ist, dass ich es nicht hinkriege. Egal, ich versuche es auf ein Neues! Und ich freue mich über jeden, der sich die Mühe macht, diese Romane zu lesen...

 

Ganz liebe Grüße an alle da draußen, ich hoffe ihr übersteht die letzten Winterwochen und habt einen wunderschönen Start in den Frühling!!

Alles Liebe wünscht euch

Eure Inka